Familie Weinthal

Herdetor 102 (heute Nr. 33)

In diesem Haus lebte der Schlachter und Viehhändler Samuel Weinthal (1864) mit seiner Frau Rosette, geborene Levin (1860), Eltern von insgesamt sieben Kindern. Samuel gehörte zu den wohlhabenden Juden in Esens und besaß Weideland in der Wolder Flage. Rosette starb am 3.12.1936 in Esens. Ihre Beerdigung wurde zu einer Demonstration antisemitischen Hasses. Der vom Esenser Bürgermeister zugesagte Polizeischutz für die Beisetzung erschien nicht, dafür störten etwa 80 Schulkinder die Beisetzung. Nach Angaben des Vorstehers der jüdischen Gemeinde, Simon Weinthal, bewarfen die Jugendlichen die Trauernden mit „schmutzigen Gegenständen“ und machten so viel Lärm, dass der Prediger seine Rede nicht beenden konnte.

In der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 brannte die Esenser Synagoge, SA und SS trieben alle noch in Esens lebenden Juden zusammen und sperrten sie auf dem Hof hinter dem Rathaus (heute Ratsgaststätte) ein. Auch der inzwischen 74 Jahre alte Samuel Weinthal war dabei und erlitt einen Herzanfall. Wenig später musste Samuel Weinthal seinen Besitz zu einem viel zu niedrigen Preis verkaufen.

Gemeinsam mit ihren Eltern lebten wahrscheinlich deren unverheiratete Kinder Henny (1888), Dora (1890) und der jüngste Sohn Wilhelm (1903) in diesem Haus. Henny war Verkäuferin und arbeitete im Textilgeschäft „Geschwister Weinthal“ mit, wie anfangs ihre psychisch kranke Schwester Dora.

Am 9. März 1940 meldeten sich Henny und ihr Vater Samuel mit Ziel Essen aus Esens ab. Dort kamen sie bei Verwandten unter. Bereits kurz vorher wurde Dora in die „Israelitische Heil- und Pflegeanstalt Bendorf-Sayn“ bei Koblenz eingewiesen. Von dort wurde sie im Juni 1942 gemeinsam mit 400 weiteren Patienten in das Vernichtungslager Sobibor deportiert. Im selben Transport befand sich auch Henny. Die beiden Schwestern wurden vermutlich direkt nach der Ankunft ermordet. Ihr Vater Samuel war zu diesem Zeitpunkt bereits tot, er starb im April 1942. Wilhelm überlebte die NS-Zeit. Der Kaufmann floh im August 1937 nach Leeuwarden/NL, kehrte aber nach Esens zurück, wo er bis zum 21. Juni 1938 blieb. „Nordamerika“ steht als Ziel hinter seinem Namen im „Verzeichnis der Abmeldungen von Juden seit 1933“ der Stadt Esens.