Familie Weinthal

Westerstraße 11

Simon Samuel Weinthal ist ein angesehener Esenser Bürger, der sich sehr für seine Stadt engagiert. 1922 wird er Vorsitzender des Geflügelzuchtvereins, ab 1924 ist er Mitglied des Stadtrates. Von Beruf ist er Viehhändler. Sein Viehgeschäft befindet sich in der Westerstraße. Als Synagogenvorsteher setzt er sich für die jüdische Gemeinde ein. Simon Weinthal vertritt ein modernes Judentum. Mit seiner Frau Adele Egele Wagner, die 1929 stirbt, bekommt er vier Kinder: Julius Joseph (1899), Bianka (1900), Louis (1903) und Else (1905). Der älteste Sohn Julius Joseph hat wie sein Vater politische Ambitionen und kandidiert als 25-jähriger 1924 für den Stadtrat. Doch mit dem abgeschlagenen Listenplatz 21 ist er chancenlos. Sein jüngerer Bruder Louis besitzt eine Viehhandlung, in welcher auch Felle und Rohprodukte verkauft werden. Ihre im Rollstuhl sitzende Schwester Bianka arbeitet als Sekretärin. 

Die Brüder Weinthal sind auch in ihrer Freizeitgestaltung rege. So wird Julius Joseph Mitglied im Club Fidelitas und Louis ist Gründungsmitglied im Esenser Junggesellen-Club. Louis heiratet jedoch später Else van Aals, Julius Joseph ist mit der aus Dornum stammenden Frieda Abrahams verheiratet. 

Nach der Machterlangung der Nationalsozialisten 1933 verändert sich das Leben der Esenser Familie schlagartig. Vater Simon verliert seinen Sitz im Stadtparlament, nachdem er am 12.3.1933 noch einmal kandidiert. Wie alle Juden in Esens müssen auch die Weinthals Demütigungen durch die Mitbürger erleiden. Ende März 1933 wird offen dazu aufgerufen, jüdische Geschäfte zu boykottieren, was die Weinthals massiv trifft. Das Leben wird unerträglich. 

 Die jüngste Tochter Else bittet 1936 ihren Vater und ihre Geschwister mit ihr und ihrer Familie nach Palästina auszuwandern. Doch die Weinthals bleiben. 1938 stirbt Simon Weinthal an einem Herzinfarkt. Statt in einem Leichenwagen wird er auf einem Abfallkarren abtransportiert. Er wird der letzte Jude sein, der auf dem jüdischen Friedhof beigesetzt wird. 

Nach der Progromnacht des 9. November 1938 müssen alle jüdischen Männer, unter ihnen Joseph und Louis, die Nacht vom 10. auf den 11. November in einer bewachten Scheune zubringen. Am nächsten Tag werden sie über Oldenburg in das KZ Sachsenhausen verbracht, wo sie teils über Monate gequält werden.  

Joseph und seine Frau Frieda flüchten nach Essen, von wo aus sie am 15.6.1942 nach Sobibor deportiert und ermordet werden. Louis und Bianka fliehen nach Berlin, von wo aus sie am 29.11. 1942 nach Ausschwitz deportiert und dort ermordet werden. Else wird als einziges Familienmitglied den Krieg überleben. 

Text: Jana und Sabine Manthey (Arbeitsgemeinschaft Stolpersteine Esens)